E-Book: BWK-Merkblatt BWK - M 1 "Hydraulische Berechnung von naturnahen Fließgewässern - Teil 1: Stationäre Berechnung der Wasserspiegellinie unter besonderer Berücksichtigung von Bewuchs- und Bauwerkseinflüssen (3. Auflage)"

Die Gefährdung unserer Siedlungsräume durch Hochwasser, aber auch die hohe Bedeutung, die unsere Fließgewässer für eine intakte Umwelt haben, fordern vom Ingenieur vielfältige Maßnahmen am Gewässer, deren Wirkung sicher beurteilt werden muss. Hierzu gehören sowohl Hochwasserschutzmaßnahmen als auch die Verbesserung der ökologischen Verhältnisse. Große Bedeutung kommt dabei der richtigen Erfassung und Bewertung strömungsphysikalischer Vorgänge zu. Oftmals noch angewandte vereinfachte Berechnungsverfahren, bei denen mit einem Beiwert sämtliche Fließwiderstände zusammengefasst werden, werden diesem Anspruch bei naturnahen Gewässern nicht mehr gerecht. Für eine fundierte hydraulische Berechnung ist es unverzichtbar, dass das Wirkungsgefüge zwischen den einzelnen gewässermorphologischen Elementen, einschließlich Bewuchs und den sich daraus ergebenden Strömungsverhältnissen, aufgeschlüsselt wird und Berechnungsansätze verwendet werden, die die Strömungsgrößen auf der Grundlage direkt in der Natur bestimmbarer Größen berechnen.

Aufbauend auf den Ergebnissen des DFG-Forschungsberichtes „Anthropogene Einflüsse auf hydrologische Prozesse“ (ROUVÉ, 1987) wurden 1991 erste Empfehlungen zur hydraulischen Berechnung von naturnahen Fließgewässern mit dem DVWK Merkblatt 220 der breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Sie haben den Weg zur Anwendung des universellen Fließgesetzes und der Einführung neuer Verfahren zur hydraulischen Quantifizierung des durch Bewuchs hervorgerufenen Fließwiderstandes aufgezeigt. Jedoch bleiben darin einige wesentliche Strömungsphänomene unberücksichtigt, wie z. B. der Einfluss einer mäandrierenden Linienführung, die Durch- und Überströmung von Bauwerken in Gewässern sowie der Fließwiderstand bei extremen Rauheiten, bei denen sich keine logarithmische Geschwindigkeitsverteilung über dem Rauheitselement einstellt. Des Weiteren fehlt eine zusammenhängende Aufbereitung hydraulischer Verfahren für eine Anwendung in Wasserspiegelberechnungen. Diesen kommt die größte Bedeutung in der Fließgewässerhydraulik zu, da in naturnahen Fließgewässern stationär-ungleichförmige Strömungsvorgänge dominieren und diese mit einer Wasserspiegelberechnung realitätsnah nachvollzogen werden können.

Hier setzt dieses Merkblatt an. Es soll diese Lücke in der Wasserspiegellinienberechnung schließen. In über 4-jähriger Tätigkeit wurde von der technisch-wissenschaftlichen BWK-Arbeitsgruppe 7.2 „Hydraulische Modelle in der Wasserwirtschaft“ gezielt für den in der Praxis tätigen Ingenieur eine Grundlage geschaffen, mit der er sein Verständnis für die Strömungsvorgänge in Fließgewässern auf der Basis physikalisch gut begründeter Verfahren verbessern kann. Dabei wird in Bezug auf das universelle Fließgesetz und die hydraulische Quantifizierung von Bewuchs sowie Trennflächenwiderstand auf das DVWK-Merkblatt Heft 220 zurückgegriffen. In den zahlreichen Stellungnahmen zum Gelbdruck des Merkblattes wurde eine Doppelgleisigkeit mit dem DVWK-Merkblatt gesehen, wodurch sich der Anwender vor die Schwierigkeit gestellt sieht, zur Lösung seiner hydraulischen Problemstellung das anzuwendende Verfahren aus zwei thematisch ähnlich gelagerten Merkblättern auswählen zu müssen. Diese Auffassung wird von den Autoren nicht geteilt, da
− ein inhaltlicher Widerspruch zwischen den beiden Merkblättern nicht existiert und
− beide Merkblätter sich inhaltlich deutlich abgrenzen und ergänzen.

Das DVWK-Merkblatt Heft 220 hat seinen Schwerpunkt in der Abflussberechnung bei stationär-gleichförmigem Abfluss. Demgegenüber wendet sich dieses Merkblatt vor allem dem Problembereich der Wasserspiegelberechnung bei stationär-ungleichförmigem Abfluss zu. Aufgrund dieser thematischen Abgrenzung behält das DVWK-Merkblatt 220 seine Bedeutung als wichtige Grundlage für die hydraulische Berechnung von naturnahen Fließgewässern.

Im vorliegenden Merkblatt wurden die Problembereiche der instationären Strömung und der sedimentbeeinflussten Strömung ausgeklammert. Letzterer Problembereich wurde bereits mit der DVWK-Schrift Heft 118 aus dem Jahre 1997 und der DVWK-Mitteilung Heft 25 aus dem Jahre 1994 umfassend behandelt. Dem gegenüber ist der Problembereich der instationären Strömung in den bisherigen Regelwerken für die Ingenieurpraxis unzureichend behandelt worden, so dass sich die BWK Arbeitsgruppe 7.2 diesem in Kürze zuwenden wird und die dabei gewonnenen Ergebnisse im Teil 2 des Merkblattes dokumentieren wird.

Aufgrund der erweiterten theoretischen Grundlage dieses Merkblattes wird die hydraulische Berechnung komplexer und der Aufwand in der Datenerhebung kann sich erhöhen. Da heute Wasserspiegellagen ausschließlich EDV-gestützt berechnet werden, ist eine komplexere hydraulische Berechnung ohne Mehraufwand möglich, sofern entsprechende EDV-Programme zur Verfügung stehen.

Um das Merkblatt umfassend nutzen zu können, wird hydraulisches Grundwissen vorausgesetzt. Spezialwissen der Mathematik und der Physik hingegen ist nicht erforderlich. Für vertiefte Studien der theoretischen Grundlagen wird jedoch auf den technischen Bericht, 1/2000 des BWK „Hydraulische Berechnung von natürlichen Fließgewässern - Grundlagen für stationäre, eindimensionale Wasserspiegelberechnungen“, verwiesen.

Die Datenerhebung ist sicherlich auf der Grundlage dieses Merkblattes aufwendiger und schwieriger als bei den vereinfachten Berechnungsverfahren. Sie erfordern vom Ingenieur, sich eingehend mit den gewässermorphologischen Verhältnissen auseinanderzusetzen. Eine intensive Ortsbegehung und Gewässerstrukturerhebung werden daher als unverzichtbar für eine Wasserspiegelberechnung angesehen. Das BWK-Merkblatt gibt konkrete Hinweise zu dem entsprechenden methodischen Vorgehen, das sich von der Problembeschreibung über die Phase der Datenerhebung und bis zur Ergebnisbewertung erstreckt.

Anhand von 5 Beispielen aus der Ingenieurpraxis wird das prinzipielle Vorgehen bei der Berechnung von Wasserspiegellagen dargestellt. Dabei sind 3 Beispiele aus der 5. Auflage der Richtlinie für naturnahe Unterhaltung und naturnahen Ausbau der Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen, herausgegeben vom Landesumweltamt NRW, entnommen worden. Hiermit sollen der enge Zusammenhang zwischen der ökologischen und strömungsphysikalischen Problembewältigung dargelegt und neue Wege für ein interdisziplinäres und ganzheitliches Vorgehen bei der naturnahen Unterhaltung und beim naturnahen Ausbau von Fließgewässern aufgezeigt werden. Dem Land Nordrhein-Westfalen sei für die Zurverfügungstellung dieser Beispiele und die finanzielle Unterstützung bei der Aufstellung dieses Merkblattes gedankt.

September 1999

Dr.-Ing. E.h. Dietrich Ruchay
Präsident des BWK

Prof. Dr.-Ing. Erik Pasche
Vorsitzender der technisch-wissenschaftlichen BWK-Arbeitsgruppe 7.2 „Hydraulische Modelle in der Wasserwirtschaft“


Annähernd zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung des BWK-Merkblattes 1 liegt das Merkblatt nun bereits in seiner dritten Auflage vor. Die große und stetige Nachfrage des Merkblattes zeigt zum einen die nach wie vor vorhandene oder sogar gestiegene Aktualität der Thematik des Merkblattes an, das die Wasserspiegelberechnung bei stationär-ungleichförmigem Abfluss unter besonderer Berücksichtigung von Bewuchs- und Bauwerkseinflüssen zum Schwerpunkt hat. Zum anderen bestätigt es das Bemühen des BWK, Regelwerksarbeit dort zu leisten, wo aufgrund neuer Erkenntnisse in einer gesamtökologischen Betrachtungsweise Lücken in der Wasserwirtschaft sichtbar werden. In der dritten Auflage wurden an einigen Stellen Aktualisierungen und Korrekturen vorgenommen, ohne die inhaltliche Aussage des Merkblattes zu verändern.

Mai 2009

Dipl.-Ing. Edgar Freund
Präsident des BWK

Prof. Dr.-Ing. Erik Pasche
Vorsitzender der technisch-wissenschaftlichen BWK-Arbeitsgruppe 7.2 „Hydraulische Modelle in der Wasserwirtschaft“


Sofern die Nutzung des Merkblattes durch Lehrende an Hochschulen oder vergleichbar im Rahmen der Ausbildung und Lehre geplant ist, stellen Sie uns bitte eine Anfrage per E-Mail an info@bwk-bund.de