BWK-Fachinformation BWK - F 1/2013 "Starkregen und urbane Sturzfluten - Praxisleitfaden zur Überflutungsvorsorge"

In den letzten Jahren haben Starkniederschläge wiederholt schwere Überschwemmungen mit enormen Sachschäden verursacht und mancherorts sogar Menschenleben gekostet. Diese Schadensereignisse führen immer wieder vor Augen, wie empfindlich Siedlungsgebiete gegenüber Sturzfluten sind und wie machtlos Anwohner und Einsatzkräfte den Wassermassen gegenüber stehen. Nach den langjährigen Erfahrungen der Deutschen Versicherer resultiert inzwischen etwa die Hälfte der regulierten Überflutungsschäden aus derartigen lokal begrenzten Extremereignissen, so genannte „urbanen Sturzfluten“, die gerade auch fernab von Gewässern zu Überschwemmungen führen (Kron, 2010). Der Klimawandel erhöht in diesem Zusammenhang zusätzlich den Handlungsdruck, auf kommunaler Ebene schon heute Anpassungsmaßnahmen und v. a. eine gezielte Vorsorge gegenüber Schäden aus urbanen Sturzfluten zu ergreifen.

Extreme Wettereignisse blieben bislang im stadthydrologischen Kontext, wie auch in der Bauleitplanung und der Straßenplanung, nahezu gänzlich unberücksichtigt. Hier hat in den letzten Jahren ein Bewusstseinswandel eingesetzt. Zwar liegt die Sicherstellung eines angemessenen Überflutungsschutzes in erster Linie im Verantwortungsbereich der Betreiber der Entwässerungssysteme, auch zukünftig und bei sich verändernden klimatischen Bedingungen. Das hierdurch erreichbare Schutzniveau ist jedoch begrenzt und es verbleibt ein Risiko von Überlastungen bei besonders starken Regenereignissen. Die Bemessung und Auslegung von Entwässerungssystemen werden u. a. in DIN EN 752 und DWA-Arbeitsblatt 118 grundsätzlich geregelt, die auf die langfristige Sicherstellung eines einheitlichen Entwässerungskomforts bei gleichzeitig wirtschaftlich vertretbarem Einsatz an Investitionen abzielen (DIN EN 752, 2008; DWA, 2006). Die darüber hinaus gehende Überflutungsvorsorge mit Blick auf seltene und außergewöhnliche Starkregenereignisse stellt hingegen eine kommunale Gemeinschaftsaufgabe dar – eine Aufgabe, für die es bislang keine etablierten Handlungsschemata gibt. Hier waren die Kommunen bislang weitgehend auf sich allein gestellt.

Aus dieser Veranlassung heraus wurde Ende 2011 eine verbandsübergreifende DWA/BWK-Arbeitsgruppe gebildet, um die Herausforderungen wie auch die Möglichkeiten zur kommunalen Überflutungsvorsorge fachlich aufzubereiten und eine praxisorientierte Hilfestellung für kommunale Fachplaner und Entscheidungsträger zu erarbeiten. Hierzu zählen insbesondere die Stadtplanung, die Raumordnungsplanung, die Grünflächenplanung und die Straßenplanung, ohne deren Beiträge eine wirkungsvolle Überflutungsvorsorge kaum möglich ist.
Weiter führende Regelungen zur fachlich qualifizierten Risikobewertung urbaner Sturzfluten im Kontext der europäischen Norm DIN EN 752 sowie des DWA-Arbeitsblattes A 118 werden zurzeit von der DWA-Arbeitsgruppe ES-2.5 erarbeitet und im DWA-Merkblatt 119 niedergelegt. Dort werden u. a. die methodischen Ansätze zur systematischen Gefährdungs- und Risikoanalyse für Siedlungsgebiete in Bezug auf lokale Starkregen näher beschrieben und weiter gehende Anwendungsempfehlungen ausgesprochen.

Der Überflutungsvorsorge muss innerhalb der Kommunen zukünftig eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Kommunen – in der Gesamtheit der zahlreichen Akteure – sind aufgefordert, vorausschauende Risikobetrachtungen durchzuführen und daraus zielorientierte Vorsorgemaßnahmen abzuleiten. Im Hinblick auf die urbane Überflutungsvorsorge sollten auf kommunaler Ebene in den nächsten Jahren u.a. vorausschauende Anpassungsstrategien, mehr Systemflexibilität und ein integrales Risikomanagement als wesentliche Bausteine erarbeitet und etabliert werden. Dies verlangt von Planern, Entscheidungsträgern und Bürgern die Auseinandersetzung mit einer „neuen“ Problemstellung; aber auch pragmatische und zugleich zielführende Herangehensweisen und Bewältigungsstrategien sowie effiziente Methoden und praktikable Werkzeuge zur Gefährdungs- und Risikobewertung.

In diesem Zusammenhang darf sich die Überflutungsvorsorge nicht auf Teilaspekte beschränken, sondern muss ganzheitlich und nachhaltig ausgerichtet sein. Dies beinhaltet u. a. die Berücksichtigung stadthydrologischer, städtebaulicher, gewässerbezogener und rechtlicher Aspekte, die Würdigung der dynamischen gesellschaftlichen und klimatischen Entwicklungen sowie die interdisziplinäre Verflechtung entwässerungstechnischer Fragestellungen im Gesamtkontext kommunaler Planungsaufgaben. Wie entsprechende Betrachtungen und geeignete Planungsansätze aussehen können, ist bislang nicht festgehalten. Hier setzt der vorliegende Praxisleitfaden an, um eine Hilfestellung für den Einstieg in eine wirkungsvolle Vorsorgeplanung zu bieten. Inhaltliche Schwerpunkte stellen mögliche Vorgehensweisen zur Gefährdungsabschätzung und Risikobewertung sowie kommunale und private Maßnahmen zur Überflutungsvorsorge dar.

Der Leitfaden zeigt anhand von anschaulichen Beispielen auf, wie Überflutungsgefahren in Siedlungsgebieten erkannt werden können, wie infrastruktur- und objektbezogene Maßnahmen zur Überflutungsvorsorge konkret aussehen können und welche Akteure hierbei gefordert sind. Hierbei werden sowohl planerische, technische als auch administrative Vorsorgemaßnahmen auf kommunaler und privater Ebene behandelt.

Dipl.-Ing. Edgar Freund
Präsident des BWK

Dr.-Ing. Marc Illgen
Vorsitzender der BWK/DWA-Arbeitsgruppe 4.2 „Starkregen und Überflutungsvorsorge“